Vorheriger Artikel
Luxusdampfer Print
Fallstudien
29 . 10 . 19

„Wir wollten ein Zeichen für Gerechtigkeit setzen“

Worte von: Print Power
Sarah Dahm und Max Marohn von Scholz & Friends haben Print für eine ungewöhnliche Kampagne gegen die steuerliche Benachteiligung von Monatshygieneartikeln genützt. Für ihr Tampon Book bekamen sie bei den Cannes Lions den Grand Prix in der Kategorie PR. Ein Gespräch über Brand Activism, die Anziehungskraft von bedrucktem Papier und wie das Tampon Book zu einer Steuersenkung beigetragen hat.
3-DE.jpg

Ein Buch als Verpackung für Tampons, wie kommt man auf die Idee?

Sarah Dahm: The Female Company, ein Start-Up aus Stuttgart, wollte seine Produktpallete, Monatshygieneartikel aus Biomaterial, kommunizieren. Wir sind bei unseren Recherchen zu diesem Thema sehr bald darauf gestoßen, dass in Deutschland auf Monatshygieneartikel der erhöhte Mehrwertsteuersatz von neunzehn Prozent gilt – obwohl es sich um Artikel des täglichen Gebrauchs handelt. Etliche Luxusartikel wie zum Beispiel Lachskaviar oder Ölgemälde werden hingegen mit dem reduzierten Steuersatz von sieben Prozent besteuert. Zuerst wollten wir daher auch leere Kaviardosen nehmen und darin Tampons verpacken, um einerseits auf das Produkt, andererseits auf seine Steuerbenachteiligung hinzuweisen.  

Am Ende haben Sie aber ein vierzig Seiten starkes Tampon Book gemacht, in dem fünfzehn Bio-Tampons verpackt sind.

Max Marohn: Ja, denn The Female Company wollte in ihrer Kampagne auch Informationen rund um das Thema Menstruation transportieren. Da bot sich ein Printmedium natürlich an.  Und weil auf Bücher, anders als auf Tampons, der reduzierte Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent gilt, konnten wir damit beides machen: die steuerliche Benachteiligung von Tampons thematisieren und einen zeitgemäßen Ratgeber über Monatshygiene produzieren. Sehr viel, was an medialen Darstellungen zum Thema existiert, ist ja völlig antiquiert. Da wird Blut zum Beispiel als blaue Flüssigkeit dargestellt, wir wollten hingegen echtes Blut zeigen. Wir wollten die Welt so darstellen, wie sie tatsächlich ist und haben so ein modernes, witzig illustriertes Buch geschaffen, das Information vermittelt und in dem auch Bio-Tampons verpackt sind. Weil die Tampons als Teil des Buchs gelten, werden sie in diesem Fall mit nur sieben Prozent besteuert. Die Ersparnis gegenüber dem sonst gültigen Steuersatz von neunzehn Prozent gibt The Female Company direkt an ihre Kundinnen weiter.

Ein ziemlich aufwändiger Weg, um das Produkt ein paar Cent billiger machen zu können.

Sarah Dahm: Das war auch nicht der Hauptzweck. Ursprünglich war die Kampagne so angelegt, dass wir das Buch vor allem an Medien, Multiplikatoren, Politiker, Influencer verschicken wollten, um so auf die steuerliche Ungleichbehandlung hinzuweisen. Ein Buch ist da als Trägermedium ideal. Es nutzt die Anziehungskraft, die von Gedrucktem ausgeht, es wirkt wertig, es ist nichts, das man sofort wegwirft, wenn man es zugeschickt bekommt. In einer ersten Tranche haben wir 1.000 Stück drucken lassen, 400 davon wurden verschickt, 600 sollten, von einer Social Media Kampagne begleitet, verkauft werden. Doch dann schlug die Bombe ein: Schon am Abend nach Kampagnenstart haben uns die Gründerinnen von The Female Company angerufen und gesagt: Wir brauchen dringend mehr Bücher, die 600, die wir noch hatten, sind alle ausverkauft.

1-DE.jpg
4-DE.jpg

Aber jetzt ehrlich: Stand für Sie und die Auftraggeberinnen tatsächlich, der Wunsch, auf die steuerliche Benachteiligung von Tampons hinzuweisen, im Vordergrund oder doch das Produkt?

Max Marohn: Wenn ein kleines, junges Unternehmen eine Kampagne bucht, dann geht es natürlich in erster Linie um das Produkt. So war es auch diesmal. Als wir aber erkannten, welchen Impact wir mit dem Hinweis auf die steuerliche Benachteiligung von Monatshygiene erreichen können, war klar, dass wir die zwei Themen kombinieren und auch ein Zeichen für mehr Gerechtigkeit setzen wollen. Die Kampagne zeigt außerdem, dass man Brand Activism auch mit einem sehr schmalen Budget sehr erfolgreich betreiben kann. Das Buch wird nach wie vor eifrig bestellt, die Kunden kaufen oft mehrere Exemplare auf einmal, es wird verschenkt, in vielen Haushalten wird es als Aufbewahrungsbehälter für Tampons und als Klo-Lektüre zugleich verwendet. Und es wirkt auch politisch. Erst kürzlich hat Olaf Scholz angekündigt, nächstes Jahr die steuerliche Benachteiligung von Tampons abschaffen zu wollen. Ein Vorteil, den das Tampon Book außerdem bietet, ist, dass man die Kampagne rundherum bei Bedarf immer wieder hochfahren kann.

Dass das Tampon Book in seinen Inhalten sehr direkt ist, war für die Auftraggeberinnen nie ein Problem?

Sarah Dahm: Nein, im Gegenteil, die wollten das so. Übrigens zu Recht. In vielen Köpfen steckt ja noch immer die Vorstellung, dass man mit Brand Activism oder mit Werbung überhaupt, möglichst alle ansprechen soll und daher ja nirgends anecken darf. Das stimmt aber nicht. Heute muss man sich unbedingt entscheiden, wen man mit einer Kampagne, wo abholen will. Wenn es zur Zielgruppe passt, muss man auch zuspitzen und provozieren. Allen zu gefallen, das geht sowieso nicht. Wobei wir finden, dass das Tampon Book nicht überdirekt ist. Wir finden es eigentlich sehr charmant.