Print Power auf einen Blick
- Der Tastsinn ist unser Wahrheitssinn. Haptische Eindrücke färben unsere Wahrnehmung und machen auch Werbemaßnahmen glaubwürdiger
- Haptisch optimierte Kommunikation erzeugt mehr Aufmerksamkeit, bleibt länger in Erinnerung und erzeugt eine größere Resonanz
- Vor allem Luxusmarken sind in Print gut aufgehoben. Haptisch hochwertige Zeitschriften sind das ideale Umfeld für werthaltige Werbebotschaften
Olaf Hartmann hat sich ganz und gar dem Fingerspitzengefühl verschrieben. Der Geschäftsführer des Multisense Instituts für sensorisches Marketing hat zusammen mit dem Psychologen Sebastian Haupt den Marketingbestseller „Touch!“ geschrieben und gilt als einer der führenden europäischen Experten für Multisensorik und haptische Kommunikation. Wir wollten von Olaf Hartmann wissen, warum sich die Menschen in digitalen Zeiten wieder vermehrt nach Haptik sehnen – und wie Werbungtreibende davon profitieren.
Herr Hartmann, wie steht es um die Liebe der Deutschen zu Print? Denn während manche Titel mit den Auflagenzahlen zu kämpfen haben, erreichen andere ein Millionenpublikum. Warum?
In der Tat hat etwa „Die Zeit” Rekordauflagen. „Landlust” bewegt jeden Monat über 800.000 Menschen zum Kauf, FLOW wächst kontinuierlich und selbst Joko Winterscheidt mit über zwei Millionen Twitter Followern bringt mit „JWD – Joko Winterscheidts Druckerzeugnis” ein Printmagazin heraus. Auch digitale Player wie AirbnB oder Zalando entdecken die kommunikative Kraft von Print und publizieren ihre eigenen Kundenmagazine. Nicht aus Spaß an der Freude, sondern weil sie merken, dass Print Menschen erreicht – und das trotz oder gerade wegen der digitalen Medienflut.
Aber wir müssen uns doch folgendes fragen: Warum gelingt es den einen, diese Liebe zu Print immer noch auszulösen, und warum ist das bei anderen nicht so?
Print ist ein langsames Medium. Wenn Print versucht, das Poppige, Flackernde, Schnelle des Internets zu imitieren, dann wird es verlieren. Ich muss bei Print immer eine inhaltliche Dimension haben, etwas, was mir ein tieferes Verständnis gibt. In Kombination mit einer attraktiven Haptik, macht das Printprodukte spannend. Unser Gehirn liebt Haptik. Über 40 Prozent unseres Gehirns beschäftigen sich permanent mit nichts anderem. Das erklärt, warum Print auch im digitalen Zeitalter wirkt.
Haken wir da ein: Was genau ist der Grund?
Das kann man auf eine Aussage verkürzen: In einer digitalen, hoch getakteten Welt, sehnen sich die Menschen nach Beständigem und konkret Spürbarem. Das ist genau die Chance für Print: Es gilt, relevante Inhalte, die sich von denen im Internet unterscheiden, in einer im wahrsten Sinne des Wortes in einer begreifbaren, haptisch attraktiven Form zu liefern. Der Mehrwert von Print muss über Inhalt und Form kommen.
Moment – im Digitalzeitalter sind wir alle auf unsere Touchscreens fixiert. „Wischen“ gilt als das neue „Blättern“. Wo bleibt da unser Wunsch nach einem haptischen Erlebnis, wie es Print verspricht?
Paradoxerweise zeigen gerade die Touchscreens, wie wichtig den Menschen die Haptik ist. Zum Beispiel belegen Studien, dass das Berühren eines Produktbildes ein stärkeres psychologisches Besitzgefühl auslöst als ein Klick mit der Maus. Und überhaupt hat erst der Touchscreen den digitalen Boom des mobilen Internets möglich gemacht. Nicht umsonst wird intensiv daran geforscht, die Oberflächen von Tablets und anderen Screens mit immer neuen Texturen so zu verbessern, dass User auch ein haptisches befriedigendes Erlebnis haben. Haptik ist in diesem Sinne sogar in der digitalen Welt „The Next Big Thing“. Trotzdem sind diese digitalen Simulationen noch weit weg von dem Erlebnis echter Berührung. Auf jeden Fall bietet Haptik noch viel Potenzial.
Auch in der digitalen Welt?
Unbedingt, denn der Mensch bleibt ein multisensorisches Wesen. Die digitale Revolution hat die menschliche Evolution nicht einfach überholt. Signale, die mehrere Sinne reizen, aktivieren das Gehirn. Sie erzeugen mehr Aufmerksamkeit und erhöhen die Erinnerung. Das Gehirn verzehnfacht mit jedem zusätzlichen angesprochenen Sinn seine Aktivität. Studien zeigen deutlich: Die gezielte Nutzung der Sinne bieten viel Potenzial, um Markenbotschaften effizient zu verankern. Das wurde im Marketing lange zu wenig beachtet, bzw. in der Digitalisierung vergessen.
Beschreiben Sie es uns näher. Welche Funktion hat der Tastsinn in diesem Zusammenspiel von verschiedenen Reizen?
Was sich viele wahrscheinlich gar nicht so bewusst machen: Unser Tastsinn ist unser „Wahrheitssinn“. Wir können uns ver-sehen, ver-hören, aber niemand sagt: „Hier habe ich mich ver-fühlt.“ Subjektiv ist der haptische Eindruck gleichbedeutend mit Wahrheit. Eine Botschaft, die ich über Haptik transportiere, ist deshalb sofort glaubwürdiger. So färben unbewusst haptische Reize unser Urteil. Zum Beispiel bewerten wir die Kompetenz eines Bewerbers als höher, wenn uns sein Lebenslauf auf einem schweren Klemmbrett präsentiert wird – ohne dass uns das bewusst ist.
Höhere Glaubwürdigkeit bei Print – ist das auch ein Effekt, von dem genauso Werbungtreibende profitieren, wenn sie in Printmedien schalten?
Der Mensch nimmt immer multisensorisch wahr. Deshalb spielt die Haptik auch eine wichtige Rolle, wenn ich kraftvolle, visuelle Kommunikation gestalten will. Es gibt auch Bilder zum Anfassen. Denn was gucken wir gerne an? Klar – die Dinge, die wir auch gern anfassen würden. Wenn Bilder solche Motive haben, aktiviert dieser Bildreiz in unserem Hirn die gleichen Bereiche, als hätten wir den Gegenstand tatsächlich berührt. Das macht sich gute Kreation zu nutze. Denken Sie nur an die preisgekrönte Hornbach Kampagne „Du lebst, erinnerst Du Dich?“. Wenn sich ein nackter Mann vom Berg stürzt und über Bergwiesen, Grass, Waldboden, Holzstämme und Schlamm rutscht, dann rutscht unser Gehirn mit. Wir spüren die körperliche Lust als auch den Schmerz. Das berührt uns, das bleibt haften.
Ist die reale Haptik, dieses Anfassen von Papier, der Grund, warum Print und Printwerbung auch in Zukunft wichtig bleiben?
Die digitale Revolution lässt sich nicht zurückdrehen. Sie revolutioniert Prozesse und Geschäftsmodelle, doch eines hat sie nicht verändert: die Struktur unseres Gehirns. Wie wir wahrnehmen, wie unsere Gefühle entstehen und wie wir Entscheidungen treffen, das passiert in unserem Kopf genauso wie vor 10.000 Jahren. „High Tech“ fördert deshalb auch das Bedürfnis nach „High Touch“ – und das kann Print bieten. Ein Beispiel ist das Cover: Hier ist es sehr wertvoll, den autotelischen Need for Touch zu aktivieren.
„Autotelischer Need for Touch” – was soll das jetzt heißen?
Ich berühre etwas – nicht, weil ich mehr Informationen suche, sondern weil ich es einfach genieße und gerne mache. Jeder kennt das, wenn er gedankenverloren beim Einkauf über einen weichen Kaschmirpullover oder eine schöne Holzoberfläche streicht. Interessant dabei ist: Je lieber ich etwas anfasse, desto länger fasse ich es an und gebe es dann auch nur ungern wieder her. Studien zeigen, dass Berührung die Preis- und Kaufbereitschaft steigert. Beispielsweise sprang die Spontankaufquote um erstaunliche 40 Prozent nach oben, wenn Menschen animiert wurden, Orangen im Supermarkt zu berühren. Wenn man es also durch optische und haptische Veredelung schafft, dass Menschen ein Magazin oder ein Produkt öfter berühren, wird sich das in den Verkaufszahlen sofort widerspiegeln.
Anders gesagt: Was sich gut anfühlt, will, ja muss ich haben – oder? Was bedeutet das für den Printmarkt?
Die Haptik unterstützt ganz klar die Kaufbereitschaft. Die Strategie im Printgeschäft sollte sein, den Lustfaktor von Print zu erhöhen – durch Struktur, Glanz, Gewicht, Konsistenz und besonders auch durch Interaktion. Kurz: alles, was dem Gehirn Lust bereitet. Ein Beispiel ist das Frauenmagazin FLOW: Es geht um das kleine Glück im Leben, ohne Eile und mit Achtsamkeit. Dies spiegelt sich wider durch verschiedene Papiersorten in der gleichen Ausgabe, einem warmen Touch des Covers, sowie Beilagen zum Basteln oder Dingen wie einem Achtsamkeitstagebuch. So unterscheidet sich das Erlebnis der Printausgabe deutlich von den gleichen Inhalten auf einem Bildschirm.
Okay. Jetzt ist Printveredelung per se schon sehr beeindruckend. Aber im Printmarkt gibt es noch so viele andere Bereiche. Hat – wenn man sich auf die Haptik konzentriert – beispielsweise die Boulevardpresse mit ihrem dünnen Papier überhaupt eine Chance, als glaubwürdig wahrgenommen zu werden? Oder ist die Yellow Press kein probater Werbekanal?
Yellow-Press-Titel haben durchaus ein Chance. Eine Hochglanz-Aufmachung wäre bei Yellow-Magazinen völlig fehl am Platz. Sie sind für schnellen Konsum konzipiert. Da ist es genau das dünnere, billigere Papier, das diese Titel „glaubwürdiger“ macht. Aber es ist ja häufig eher umgekehrt. Ein hochwertigeres Papier wird aus Kostengründen nicht eingesetzt. Wer als Verlag allerdings nicht berücksichtigt, dass das Papier zur Botschaft des Printprodukts passen muss, der versteht nicht den Einfluss, den die Haptik auf die Wahrnehmung hat. Häufig wird daher Werbewirkung für die Werbetreibenden und die Verkaufskraft eines Titels am PoS verschenkt.
Von der Leserschaft gesehen dominieren in Deutschland die weiblichen Leser – Frauen sind Magazin-Junkies. Muss man das auch in puncto Haptik berücksichtigen?
Auf alle Fälle. Frauen haben tendenziell einen höheren „Need for Touch“, sie sind daher auch die kritischeren Konsumenten. Allein wegen dieses Haptik-Faktors sehe ich im Printmarkt bei den frauenaffinen Mode- und Beautymagazinen größere Möglichkeiten als in anderen Segmenten.
Lassen Sie uns nochmal auf den Tastsinn als den „Wahrheitssinn“ zurückkommen. Was sich gut und stimmig mit dem sonstigen Konzept anfühlt, stufen wir als glaubwürdig ein, sagten Sie. Inwieweit können hier Anzeigenkunden mit ihren Werbemaßnahmen in Print profitieren?
Anzeigenkunden beziehungsweise ihre Kreativ- und Mediaagenturen müssen im Grunde genau das Gleiche beachten wie die Hersteller von Printprodukten. Generell gilt: Die Form muss zum Inhalt passen. Die Qualität des Produkts sollte mit der Wertigkeit des Werbeträgers korrespondieren. Es macht halt doch noch einen Unterschied, ob eine Sparkassenwerbung vor Katzenvideos geschaltet wird oder im Wirtschaftsteil eines seriösen Nachrichtenmagazins. Deshalb empfiehlt es sich auch gerade für Luxusmarken, in Print zu werben. Diese Magazine sind der ideale psychologische Frame für werthaltige Werbebotschaften. Die buchstäblich fühlbare Glaubwürdigkeit des Printprodukts strahlt auf die Marke ab. Denken Sie an das Experiment mit den Bewerbungen auf dem Klemmbrett, von dem ich soeben gesprochen habe. Was viele aktuell vergessen: Digitale Kommunikation pflückt die Früchte vom Baum des Markenvertrauens, pflegt diesen aber nicht. Print ist aus den genannten Gründen ideal, um die Wurzeln des Markenvertrauens zu stärken.