Martin Lindstrom gründete vor knapp 20 Jahren die Werbeagentur Lindstrom. Schon damals war er der Meinung, dass für Marken ein Kundenerlebnis essentiell ist, das alle fünf Sinne anspricht.
Seitdem hat er sieben Bücher darüber geschrieben, wie Marken aufgebaut werden und welchen Einfluss diese auf uns haben. Er leitete die weltweit umfassendste Neuromarketing-Studie, welche ihren Höhepunkt in der Veröffentlichung des New York Times Bestsellers Buyology fand – einer Exploration von Faktoren, die unser Kaufverhalten erklärt.
Heute ist Lindstrom fest davon überzeugt, dass zu viele Unternehmen sich von digitalen KPIs und Prozessen blenden und so die Effizienz von Sinnesbegegnungen unberücksichtigt lassen.
Wir haben mit Martin darüber gesprochen, warum Berührungen so wichtig sind (unabhängig davon, ob man nun ein Mensch oder eine Ratte ist), über seine Mission, taktile Interaktionen mit Marken zu steigern, und die Notwendigkeit eines neuen Maßstabs zur Ermittlung der nicht zu unterschätzenden irrationalen Auswirkungen von Marketing.
Die Unzufriedenheit von Kunden über digitale Werbung und AdBlocker steigt dramatisch. Kann Print dieses Phänomen eindämmen?
Früher galt Print als Kommunikationsmedium, jetzt ist es zu einer regelrecht kontinuierlichen Stimulation der Kommunikation und der Sinne geworden.
Papier sticht heraus. Eine Studie zeigt, dass Inhalte auf Papier bis zu 70 Prozent einprägsamer sind als bei anderen Medien. Das ist einfach erklärt. Nimmt man beispielsweise die Abfahrtstafel am Flughafen, die von einer Seite zur nächsten springt: Bevor man hier die benötigte Information erhält, muss das Auge immens viele Informationen erfassen. Unser Gehirn ist darauf programmiert Informationen, die auf Bildschirmen auftauchen, oberflächlich zu lesen. Studien zeigen jetzt, dass wir uns an Dinge besser erinnern, wenn wir etwas auf Papier lesen und somit emotional involvierter sind.
Print hat einen anhaltenden Einfluss; es ist eher so, dass ich die Kontrolle über das Medium habe und nicht umgekehrt.
Papier hat drei Stärken: Die erste ist die Stimulation der Sinneskanäle; zweitens gehen Daten nicht verloren; und drittens ist jeder digital unterwegs – so fällt auf, welche Marken einen anderen Weg einschlagen. Die Message sticht im Print stärker heraus.
Welche Aspekte der heutigen Konsumentenlandschaft schaffen die Rahmenbedingungen für ein Aufleben der Printmedien?
Print hat definitiv einen Vorteil gegenüber anderen Kanälen. Man muss den Sachverhalt jedoch aus einem übergreifenderen Blickwinkel betrachten. Lassen Sie uns einen kleinen Exkurs in die Psychologie von Print machen. Vor geraumer Zeit wurde ein Experiment mit Ratten gemacht, in dem zwei Versuchsgruppen auf die Auswirkung von taktilen Empfindungen untersucht wurden. Die erste Versuchsgruppe wurde stündlich vom Forschungsteam berührt; die zweite hingegen kein einziges Mal während der zweimonatigen Versuchsphase. Nach diesen zwei Monaten starben die nicht berührten Ratten, wohingegen diejenigen, die stündlich berührt worden waren, glücklich weiter lebten.
Das erklärt in vielerlei Hinsicht, was heute in unserer Gesellschaft passiert. Aufgrund unserer digitalen Besessenheit haben wir unsere taktilen Interaktionen so drastisch gesenkt, dass es gefährlich werden kann. Menschen entfernen sich mehr und mehr von lokalen Gemeinschaften, die nebenbei bemerkt aussterben. Deshalb gibt es auch keine zwischenmenschlichen Interaktionen mehr. Bildschirme sind das einzige, was Menschen noch berühren.
Denken wir an das Rattenexperiment zurück, ist es absolut verständlich, dass sich die Gesellschaft nach taktilen Interaktionen sehnt. In den letzten zehn Jahren wurden in Japan Menschen in Alters- und Seniorenheimen gebeten Haustiere anzuschaffen – teils Roboter und teils echte Tiere. Und in Tokyo gibt es das Konzept der Haustiercafés, in denen man während der Mittagspause Tiere streicheln kann.