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06 . 05 . 19

Gedruckte Medien neu gestalten – eine Design-Perspektive

Worte von: Print Power
Die Rolle des Drucks im Medienmix hat sich verändert. Aber Marketingspezialisten dürfen gedruckte Medien nicht in ihrer Fähigkeit unterschätzen, emotionale Reaktionen hervorzurufen und den Status quo in Frage zu stellen
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Die Kraft des Drucks auf einen Blick: 

  • Der verminderte Status von Druckmedien als Massenkommunikationsmittel sollte nicht den Blick darauf trüben, dass diese einen starken emotionalen Eindruck zu hinterlassen können
  • Druckmedien mit hoher Produktionsqualität und der Betonung einer großen künstlerischen Ausrichtung stechen die Konkurrenz in einer überfüllten und chaotischen Medienlandschaft aus

Lucienne Roberts, Mitbegründerin des Verlags- und Grafikdesign-Unternehmens GraphicDesign& versteht sich als Teil einer reichen Drucktradition. Eine Tradition, die sie und ihre Designkollegen deutlich zu schätzen wissen, die aber in einer überfüllten Medienlandschaft tiefgehende Veränderungen durchläuft. 

Roberts‘ Hintergrund ist Grafikdesign, Englische Literatur und Theater – alles Bereiche, die den Schwerpunkt ihres Studios auf Redaktions- und Ausstellungsdesign legen. Und diese Bereiche verlangen allesamt, dass sie die Kraft von Printmedien nutzt, um sich zwischen dem Medienlärm durchzusetzen.

Das preisgekrönte Taschenbuch Page 1: Great Expectations, fällt in die redaktionelle Kategorie. Darin baten Roberts und ihre Kollegen 70 Designer, die Seite eins des klassischen Dickens-Romans zu gestalten, in einem „ungewöhnlichen typografischen Experiment, das die Beziehung zwischen Grafikdesign, Typografie und dem Lesen einer Seite untersucht“.

Can Graphic Design Save Your Life? ist inzwischen eine von zwei großen Ausstellungen, die neben der Wellcome Collection von GraphicDesign& mitkuratiert wurden, um das Verhältnis von Grafikdesign und Gesundheit zu untersuchen.

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Beide Projekte beschäftigen sich mit sehr unterschiedlichen Fragen und unterstreichen dennoch die Macht physischer Medien. „Museumsbesucher gehen durch einen Raum, Leser wechseln die Seite…in jedem Fall werden sie dazu angehalten, zu interagieren“, sagt Roberts. „Um diese Reise interessant, faszinierend und sogar verspielt zu machen.“

Ob es sich nun um ein Buch über Nonnen und ihre modischen Vorlieben oder eine Ausstellung über Grafik und Politik handelt: die Kraft des Drucks, eine emotionale Reaktion hervorzurufen, steht im Mittelpunkt von Roberts’ Designphilosophie.

Druck: eine edlere Sache

Es ist etwas, was sich in der Werbewelt immer wieder zeigt; sei es ein Ford-Mailer, der mit einem taktvollen, humorvollen Trennungshandbuch Emotionen bei den Besitzern weckt, oder eine Ikea-Printwerbung, die viele Sinne gleichzeitig anspricht, um einen klaren Differenzpunkt zu schaffen.

Roberts sieht dies als eine Neupositionierung des Drucks – weg von der Massenansprache hin zu mehr nischenorientierten, intimen und exklusiven Angeboten. Als Bestätigung der Fähigkeit des Mediums, diese emotionale Kraft zu liefern.

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„Print ist zu einer edleren Sache geworden“, argumentiert sie. „Und wenn man an Zeitungen, Bücher und Zeitschriften denkt, sind die diejenigen am erfolgreichsten, die sich ernsthaft damit beschäftigen und darüber Gedanken machen, was Druckmedien gut können.“

 Wie etwa kostspielige Signalisierung.

Im überfüllten Lebensmittelmarkt haben Titel mit hoher Produktionsqualität und einem Schwerpunkt auf coole Art Direction die Herzen und Köpfe erobert, beispielsweise The Gourmand und Gather Journal.  

Exklusiver, zielgerichteter (und sicher auch teurer), passen diese Magazine in einen wachsenden Trend von Verlegern, die laut dem Bericht FIPP Innovation in Magazine Media „sehr bemüht sind, kleineren, ausgewählten, lukrativen…Zielgruppen exklusive Inhalte und ein Premium-Erlebnis zu bieten“. 

Mushpit und Gal-dem sind hervorragende Beispiele für Titel mit eng definierter Identität und Leserschaft.

Sie werfen grundlegende Fragen zu Geschlecht, Vielfalt und Inklusion auf und fördern diese Debatten. Auch dienen sie als Gegenbeispiel zum typischerweise populistischen Appell der Mainstream-Frauenzeitschriften – die anscheinend immer weniger relevant werden.

Es ist ein Wandel, der auch im aktuellen Vinyl-Revival einige Echos findet.  

Während Musik einfacher und billiger zu verbreiten und zu konsumieren ist, hat die Bequemlichkeit bei vielen Fans den Wunsch nach den goldenen Tagen der „authentisch klingenden" LP-Platten geweckt – als Neuerscheinungen noch ein Ereignis und keine Spotify-Benachrichtigung waren; und Albumcover Kunstwerke statt eines Quadrats auf dem Bildschirm.

Zeigen, nicht erzählen: die Bedeutung des Experimentierens

„In letzter Zeit haben wir immer mehr Designer gesehen, die auf diese Weise mit Druckmedien experimentieren“, sagt Roberts – „die mehr Wert auf die Dinge legen, die Druckmedien können und Digitalmedien nicht. Farben sind nur ein Beispiel; aber auch schöne Tinte, Veredelungen und Falzungen. Ganz zu schweigen davon, dass Papier selbst eine Form der Kunst ist.“

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Als Volkswagen die schwedischen Autofahrer vor den Gefahren unbeleuchteter Straßen für die einheimische Tierwelt warnen wollte, taten sie dies mit einer schön illustrierten Presse-/Kindergeschichte über einen Hirsch, der gefährlich nahe der Straße wandert. Die fantastische Geschichte, ließ unseren rehäugigen Protagonisten bei Tageslicht ein unglückliches Ende finden, während in der Dunkelheit Leuchttinte ein glücklicheres Ende zeigt. Es ist eine Botschaft, die dank der sehr persönlichen Natur des Mediums und einer cleveren Variation der traditionellen Ausführung umso näher geht.

Ebenso hat das japanische Gesundheitsunternehmen ANGFA ein waschbares Buch hergestellt, um Kindern in Kambodscha die Bedeutung sauberer Hände beizubringen. Wenn man die Hände der Charaktere im Buch mit der mitgelieferten Seife wusch, wurde eine Reihe von bunten Illustrationen enthüllt, die dazu beitrugen, die Geschichte (und das Thema) zum Leben zu erwecken. So primitiv es auch erscheinen mag: der Tastsinn ist nicht nur der erste Sinn, der sich entwickelt. Er ist möglicherweise auch derjenige, der uns auf emotionaler Ebene am meisten beschäftigt.

Ähnlich wie bei den oben genannten Marken und Agenturen ist Roberts entschlossen, die Wahrnehmung der Rolle und des Wertes von Printmedien als Kanal, der eine tiefgehende Reaktion auslöst, zu überdenken.

Ebiquity und Radiocentres oft zitiertes Paper „Re-evaluating Media“ zeigt, dass es eine besorgniserregende Kluft gibt zwischen dem, wovon Marketingspezialisten denken, dass es eine emotionale Reaktion auslöst, und dem, was tatsächlich der Fall ist. Um etwas Kontextwissen zu geben: Marketingspezialisten legen Zeitschriften auf den fünften Platz, obwohl sie tatsächlich der zweitstärkste Kanal sind. 

Eine Möglichkeit, wie Roberts versucht, diese Diskrepanz zu überwinden, besteht einfach darin, mehr inspirierende und einflussreiche Druckerzeugnisse zu produzieren.

Ein Broschürenprojekt, das sie und ihr Studio für das Orchestra of the Age of Enlightenment in London „dirigierten“, betonte Form über Funktion und verwendete sogar fluoriszierende Farben anstelle einer Standardfarbpalette.

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Das D&AD Annual 2016 – ein Buch, das sowohl als atemberaubende Sammlung der weltweit besten Markenmaterialien als auch als Handbuch beschrieben wurde („fast schon eine Art Lernhilfe“, erinnert sich Roberts) – spielt ebenfalls mit Druckkonventionen, indem die CMYK-Palette ausgetauscht wird, um die Jury zu verdrehen (unten).

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Die Wahrnehmung von Druckmedien unter Marketingfachleuten neu ausrichten – und das Handwerk neu entdecken 

Man kann also sagen, dass Roberts eine erklärte Befürworterin von Druckmedien ist, mit einer positiven Zukunftsperspektive – ein Standpunkt, den viele ihrer Kollegen und Leute aus anderen Fachbereichen teilen.

In einem 2015 veröffentlichten Titel – Graphic Designers Surveyed – sprachen GraphicDesign& mit 1.988 Designern auf beiden Seiten des Atlantiks und zeigten ihre fanatischen, lustigen und offenen Ansichten über ihren Beruf.

Zu den gestellten Fragen gehörten: „Wurden Sie jemals gebeten, es ‚größer zu machen‘?“ [Die meisten wurden danach gefragt]; „Welcher der folgenden Punkte beschreibt Ihre Spezialisierung im Designbereich“? [Hauptsächlich Grafikdesign]; und „Was ist das Schlimmste/Beste daran, ein Designer zu sein?“ [Zu viele Antworten, um sie aufzuzählen].  

Interessanterweise wurden sie auch gefragt, ob Druckmedien innerhalb von 10 Jahren tot sein würden. Der Konsens war ein überwältigendes „Nein“. Roberts selbst glaubt, dass Behauptungen, dass „Druckmedien tot sind“, stark übertrieben sind.  

Aber sie gibt zu: „Hervorragendes Druckdesign wird nicht so hoch geschätzt, wie es sollte – und ich frage mich, ob es genügend Bildung darüber gibt, was erfolgreiches Druckdesign ausmacht. Und dass man bestimmte ‚überzeugende Fähigkeiten‘ haben muss. “

Es ist eine Tatsache, die auch von Medienkommentatoren beklagt wird. In einer Kolumne aus dem Jahr 2018 bemerkte Claire Beale, die globale Chefredakteurin der Kampagne, dass das Handwerk großer Druckanzeigen verloren gegangen sei – und wiederentdeckt werden müsse.

Die Antwort liegt jedoch nicht darin, auf die goldenen Jahre des Drucks zurückzugehen, als es das Massenmedium der Wahl war – sondern eine neue Rolle dafür zu finden – eine, die premium, nischenorientiert und experimentell ist … und natürlich edel.