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Print muss beweisen, dass Qualität wirkt
Erkenntnisse
30 . 07 . 19

Ruhe, bitte!

Worte von: Print power
Wir schmecken, was wir sehen. Wir hören, was wir sehen. Print kann auf sehr raffinierte Weise multisensorische Reize ansprechen und mentale Assoziationen auslösen. Wie raffiniert Werbung diese Empfindungskette knüpft und warum wir Printwerbung besser speichern als die in eher flüchtigen Medien.
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Auf einen Blick

  • Werbung, die Synästhesie-Effekte nutzt, aktiviert das Gehirn besonders stark und wird dadurch länger erinnert

  • Flüchtige Medien eignen sich schlechter als Print, um mit Reizen auf mehreren Kanälen Aufmerksamkeit zu erzeugen.

  • Die Adressierung vieler Reize wirkt sich positiv auf die Wahrnehmungsdauer von Printwerbung aus.

Die Kampagne besteht aus drei perfekt inszenierten Sujets: einer Coke-Dose, aus der es beim Öffnen zischt, einer Coca Cola-Flasche, die gerade geöffnet wird und der blubbernden Oberfläche eines frisch in ein Glas gefüllten Cola. Neben dem Coca Cola-Logo findet sich auf den Sujets nur eine einzige Zeile Text: Try not to hear this. Diese Zeile ist der zentrale Gedanke: Print als Trigger für andere Sinneseindrücke. Mit dieser Idee hat die Agentur DAVID aus Miami gezeigt, wie Hören auch in der Printwerbung funktionieren kann. Man hört was da gedruckt steht. Simpel und doch sinnlich. Dafür gab es auch den Goldenen Löwen von Cannes in der Kategorie Print & Publishing.

„Als wir uns das erste Mal uns mit dem Phänomen der Synästhesie beschäftigt haben, also damit, dass ein Sinneseindruck einen anderen antriggern kann, war uns klar, dass wir diesen Effekt nützen wollen“, erklärt Fernando Pellizzaro, Kreativdirektor bei DAVID im Gespräch mit Print Power. Dass die Wahl dabei auf Print fiel, erscheint seiner Meinung nach nur auf den ersten Blick überraschend: „Jeder von uns hat dieses ganz spezielle Geräusch im Kopf, das beim Öffnen einer Cola-Dose oder Flasche entsteht. Doch jeder speichert es etwas anders ab und vor allem: Jeder verbindet damit andere Erinnerungen.“

Mit Synästhesie spielen

Statt mit konkreten Sinneseindrücken bloß mit deren Vorstellungen zu arbeiten, ist etwas, das auch die Werbeagentur McCANN einsetzte, als es darum ging, einen Induktionsherd von Miele vorzustellen, dessen integrierter Dunstabzug den Dampf statt nach oben abzuleiten quasi im Herd verschwinden lässt. Das Format Print war dabei vorgegeben, weil Miele mit Schaltungen in High-End-Magazinen mit hoher Affinität zu den Themen Kochen und Wohnen ganz gezielt potentielle Interessenten ansprechen wollte.

Die Werbe-Idee, die die Agentur hatte, bestand darin, in der Art, wie die Anzeige gestaltet ist, das Besondere des Produkts, widerzuspiegeln. „Ein Dunstabzug, der in den Herd integriert ist und eine Print-Anzeige, in der der Dunst beim Aufschlagen der Seite verschwindet, weil die Farbpigmente mit Licht reagieren – das war die Umsetzung der Idee“, erzählt Jerome Cholet, Kommunikationsdirektor bei McCANN.  Der kreative und synästhetische Einsatz des visuellen Kanals hat dabei einen überraschenden Effekt erzeugt: „Wir haben die Wirkung eines bewegten Bildes erzeugen können, ohne das Haptische, eines der zentralen Wesensmerkmale von Print, aufgeben zu müssen.“  

Mehr fühlen

Oft kann aber auch, wie viele Forschungsergebnisse belegen, die Sprache allein Synästhesie-Effekte kreieren und dazu führen, dass Wahrnehmungen auf dem verbalen Kanal gleichzeitig Wahrnehmungen auf anderen Kanälen nach sich ziehen. „Um das zu erfahren, muss man kein Synästhetiker sein, also ein Mensch, der grundsätzlich dazu neigt, Geräusche zu riechen oder Farben zu schmecken“, erklärt Monika Heimann, auf Werbepsychologie spezialisierte Gesellschafterin bei der Kölner Agentur INNCH. Es gibt viele Arten von Synästhesie: So neigen etwa Menschen oft zur so genannten Graphem-Farb-Synästhesie. Dabei werden gedruckte Zahlen oder Buchstaben mit bestimmten Farben assoziiert. Ebenso – und das kann Print besonders gut – können taktile Erlebnisse zu synästhetischen Auslösern führen.

Wenn Werbung die natürliche Synästhesie-Fähigkeit des Menschen nutzt und durch geschicktes Design  fördert, wirkt sie signifikant besser - auch das gilt in der Forschung inzwischen als absolut sicher.

Print profitiert

Interessanterweise kann Print von dieser Tatsache besonders gut profitieren. Denn Print hat gegenüber  vielen seiner Konkurrenten den Vorteil, weniger  flüchtig zu sein. Fernseh- oder Internetspots können zwar mit Geräuschen, auffälligen Bewegungen oder grellen Farben leicht Aufmerksamkeit erzeugen, doch sie sind in dem Moment, in dem sie sich materialisieren, auch schon wieder Vergangenheit. Wir neigen dazu, digitale Informationen oft eher oberflächlich wahrzunehmen, weiß etwa der Markenexperte Martin Lindstrom im Interview mit Print Power: „Eine Studie zeigt, dass Inhalte auf Papier bis zu 70 Prozent einprägsamer sind als bei anderen Medien. Das ist einfach erklärt. Nimmt man beispielsweise die Abfahrtstafel am Flughafen, die von einer Seite zur nächsten springt: Bevor man hier die benötigte Information erhält, muss das Auge immens viele Informationen erfassen. Unser Gehirn ist darauf programmiert Informationen, die auf Bildschirmen auftauchen, oberflächlich zu lesen.“ Andere Studien belegen das Beschäftigungshoch mit Printwerbung indes deutlich: Das Meinungsforschungsinstitut hat im letzten Herbst insgesamt 18.000 Medienkonsumenten aus Großbritannien mit Print – und Onlinewerbung konfrontiert.

Dabei kam eindeutig heraus: Printwerbung wird von den Lesern wesentlich intensiver und vor allem länger rezipiert als Onlinewerbung. In der Versuchsanordnung wurden 76 Prozent der Inserate eines Printmediums von den Lesern registriert, aber nur 18 Prozent der Online-Werbung. Auch auf die zeitliche Komponente zahlt Print ein: in der Versuchsanordnung wurden nur fünf Prozent der Online-Werbung mehr als eine Sekunde lang betrachtet, aber 41 Prozent der Printwerbung. Zweierlei Wirkungsdimensionen werden hier sichtbar: kreative Printwerbung hat erstens eine ziemlich gute Chance, in einem Medium entdeckt zu werden und zweitens genügend Zeit, um sich zu entfalten.

 

Print hat Zeit

Diese Reize zu nutzen, ist – das zeigt das Beispiel von Fernando Pellizzaro – eine einzigartige Tugend von Print und gleichzeitig nichts, was den Werbeetat unbedingt mehr strapazieren müsste als andere Printanzeigen. Denn das ist das Schöne an Print: Wirkung ist nicht immer technologisch bedingt, sie entsteht durch Kreativität. Hinreichend bewiesen hat das auch die schwedische Agentur Forsman & Bodenfors mit ihrer Kampagne für den öffentlichen Nahverkehr der Verkehrsbetriebe Västtrafik. Das Inserat auf einer Doppelseite zeigt zuerst den Stau auf einer Straße, auf der Autos und Lastkraftwagen sowie Busse hoffnungslos ineinander verkeilt scheinen. Der Text zum Inserat: „Danke für Ihre Geduld. Es wird voll, wenn wir nicht gemeinsam reisen.“ Der Leser wird aufgefordert, das Sujet an den Rändern nach innen zu klappen. Nun sieht man nur noch einen Bus von Västtrafik auf einer leeren Straße und der Text darunter lautet „Danke für das gemeinsame Reisen.“ Durch die Aufforderung, das Inserat zu falten, tritt der Leser in einen Dialog, er wird Handelnder, um die Botschaft zu verstehen. Für die eigentlich simple Idee hat die Agentur im vergangenen Jahr die internationalen Epica Awards in Silber bekommen.

Wer das Inserat tatsächlich faltet, um die Pointe zu entdecken, wird damit – ebenfalls ein hübscher Trick der Werber – vergleichsweise lange beschäftigt sein. Und die Studie von Ipsos zeigt, welchen ungeheuren Effekt die Wahrnehmungsdauer auf den Recall-Wert hat: bei einer Ansichtsdauer von vier bis fünf Sekunden erinnert sich mehr als jeder Dritte an das Printinserat, bei zwei bis drei Sekunden sind es immerhin noch 28 Prozent. Bemerkenswert übrigens auch, dass der Recall-Wert bei Print linear mit der Verweildauer steigt, dies bei digitaler Werbung aber nicht tut, sondern bei einer Verweildauer von einer bis vier Sekunden zwischen 16 und 18 Prozent stagniert.

Die Empfindungsbrücke bei Print scheint bei entsprechendem kreativem Input jedenfalls stärker als die Reize, die durch Bewegung und Ton digitaler Werbung ausgelöst werden könnten. Fernando Pellizzaro erklärt das für seine Kampagne so: „Gerade weil wir nichts Akustisches vorgaben, sondern nur die Vorstellung eines Geräusches evozierten, gelang uns etwas nahezu Unmögliches: eine Empfindung zu kreieren, die für jeden Betrachter unserer Werbung absolut einmalig und individuell ist, in ihrer Botschaft aber dennoch ganz klar erkennbar bleibt.“ Eine Empfindung, an die man vermutlich bis zum nächsten Coca Cola denken wird.