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Erkenntnisse
08 . 10 . 18

Printmedien und Daten – eine glückliche Ehe

Worte von: Mark Hooper
Wie erfüllt man Daten und Erkenntnisse mit Leben? Nur einfache Gemüter würden Print hier außen vor lassen – wie man an diesen fesselnden, effektiven Fallstudien sieht
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Die Power von Print auf einen Blick

  • Daten sind nicht mehr nur für Eierköpfe, die auf Analytics stehen – auch Kreative, die aufsehenerregende Kampagnen liefern wollen, sollten sie nutzen
  • Printmedien ermöglichen es, Erkenntnisse über das jeweilige Publikum in ihrer reinsten Form auszudrücken
  • Die Customer Journey sollte voll erfasst werden, gleich, in welchem Medium sie sich abspielt. Dazu gehört auch Print

Dieses Jahr geht es bei der IPA Effectiveness Week darum, wie Daten und Einblicke bei der Entwicklung schlagkräftiger Kampagnen Pate stehen können. Da fragten wir bei Print Power uns, welche print-bezogene Beispiele es gibt, die auf einer cleveren und kreativen Nutzung von Daten und Erkenntnissen basieren. Integrierte Kampagnen mit ausgeprägter Print-Komponente eingeschlossen.

Denn, seien wir mal ehrlich, Print ist wahrscheinlich nicht der erste Kanal, an den Planer und Kreative denken, wenn sie vorhaben, ein „cooles Ding mit Daten” abzuziehen. Und das, obwohl print-orientierte Initiativen oft viel komplexer – und datenintensiver – sind, als allgemein angenommen.

Wahrscheinlich gibt es sowieso kaum Kreative, die ernsthaft über Daten nachdenken. Vielmehr tun sie Zahlen und Fakten, wie Mcgarrybowen-CEO Jason Gonsalves beklagt, als „nicht unsere Baustelle” ab – als Störfaktor im kreativen Prozess oder als Ablenkung von der eigentlichen Botschaft.

Aber der vormalige Head of Strategy bei BBH – der Data Insight als sein „Lieblingsthema” bezeichnet – warnt eindringlich vor einer kreativen Abwehrhaltung gegen Zahlen und Fakten.

„Es handelt sich hier um ein aufregendes neues Werkzeug – nichts weiter. Wer Daten mit Empathie und Menschlichkeit versetzt, kann so den ganzen Facettenreichtum ganz normaler Leute ergründen – was wiederum bessere Anstöße dazu liefert, ebendiese Leute freudig zu überraschen.”

Mit Print-Marketing lassen sich diese Einblicke in ihrer reinsten Form transportieren – als Markenkommunikation, die – sofern sie gut gemacht ist – bündig, klar und vertrauenswürdig ist. Anders gesagt: Vertrauen in Print ist gleich Vertrauen in den Content.

Denn obwohl auch Print sich auf die gleichen „nackten Zahlen” stützt, auf denen auch digital-first-Kampagnen basieren, bieten Druckmedien heutzutage eine erfrischende Transparenz. Gleichzeitig wirken sie als Gegengift gegen die die diversen Datenlecks, unter denen viele weltführenden Marken in den letzten 12 Monaten zu leiden hatten.

Bittet man Kunden – vor allem jene in älteren, datenschutzbewussteren Zielgruppen – ein Kästchen online anzukreuzen, werden sie wohl die (durchaus berechtigte) Frage stellen, was mit den erhobenen Daten geschieht.

Bittet man dieselben Kunden allerdings, ihr Kreuzchen auf einem Druckerzeugnis zu machen, werden sie sich dabei höchstwahrscheinlich wohler fühlen – auch wenn sie ebensowenig wissen, wie ihre Daten verarbeitet werden. Dennoch vermittelt Print das Gefühl, eine bewusstere Entscheidung getroffen zu haben.

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RNLI: Kommunikation, die Leben rettet

Auf dieser Erkenntnis gründete sich mit einem MDA d Preis ausgezeichnete Kampagne ‘Communication Saves Lives’ von Proximity. Auftraggeberin war die britische Royal National Lifeboat Institution (RNLI), ein karitativer Verband, der Menschen aus Seenot rettet.

Umfragen ergaben, dass nur 6% einem Verbleib auf der Mailing List zustimmen würden – dabei lag die Zielmarke der RNLI bei 22%. Außerdem waren Skandale, in denen britische wohltätige Organisationen mit Daten Schindluder getrieben hatten, noch in frischer Erinnerung. Daher lenkte die Kampagne die Aufmerksamkeit auf den tieferen Sinn des Kontakts mit der RNLI.

Zu sehen ist das Gesicht eines Rettungsbootskippers in Nahaufnahme. Der Text dazu: „Er stellt sich haushohen Wellen, um Leben zu retten… und sie müssen nur ein Kreuzchen machen.” Das Kleingedruckte barg ausnahmsweise keine geheime Agenda, sondern wiederholte die Botschaft einfach: „ein Kreuzchen und wir können auch weiterhin gemeinsam Leben retten.”

Statt die Einverständniserklärung als zwielichtigen Marketingtrick zu präsentieren – einen Trick, der sich hinter einem Dropdown-Menü versteckt – stellte Proximity die Message in den Mittelpunkt: in Printanzeigen, im Radio, in Facebook-Videos, unterstützt von einem Digital Hub. Die Einverständniserklärung wurde zur Kampagne.

Bei den Förderern der Organisation kam die einfache und ehrliche Aktion gut an: sie sahen ein, wie wenig sie eigentlich dazu beitragen mussten, um Menschen vor dem Ertrinken zu retten. Die Zielmarke der RNLI von 255,000 Förderern war im Handumdrehen geknackt; 450,000 Personen erklärten letzten Endes ihr Einverständnis.

Google Cloud: Biografie der Zukunft

Matthew Kershaw, der MD of Content bei Iris Worldwide, gesteht, dass die meisten seiner Kampagnen digital-first, wenn nicht 100% digital sind. Doch auf die Bitte, inspirierende print-geführte Kampagnen zu nennen, die auf Customer Insights basieren, bewertet er die Qualität der resultierenden Beispiele durchaus positiv.

Nehmen wir die ‚Biografie der Zukunft’ von Herezier Google Cloud: eine streng limitierte Auflage von individuell maßgeschneiderten Büchern, die darauf abzielten, zehn „unerreichbare” französische Top-Manager anzusprechen. Dabei stützten sich die Bücher nicht nur auf von Google erhobene Daten – Untersuchungen ergaben, dass ein echtes Buch viel aufmerksamkeitsstärker war als jegliche andere erdenkliche digitale Lösung.

Wie Gonsalves feststellt, gibt es keinen „Delete”-Button für ein Buch, das man in der Hand hält. Das Beispiel bestätigt auch Kershaws Ansicht, dass Print-Marketing oftmals der „Disruptor” in einer integrierten Kampagne sein kann.

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AA: Hitchhiker: London

Manchmal suggerieren die Daten selbst direkt eine elegante, kreative Lösung.

Die ‚Anhalter: London’ Kampagne von Wunderman für die britische Automobile Association, kurz auch AA, bediente sich einer bewährten Personalisierungs-Methode, indem sie die Kundenadressen in ihrer Datenbank dazu nutzte, ihre Botschaft an den Wohnort der Empfänger anzupassen. Somit brachten sie das zentrale Markenversprechen der AA („the best way to get you home”) mit Humor und Stil auf den Punkt.

Die Lösung war ein mit dem Heimatort des Kunden beschriftetes Anhalterschild auf der Rückseite der Zusendung. Somit wurde die dingliche Präsenz des Mailouts zum Herzstück der Idee. Das perfekte Beispiel für ein Konzept, das auf keinem anderen Kanal funktionieren würde.

What3Words: Entwicklungshilfe per Post

Noch ein Beispiel für die einfallsreiche Anwendung von Kundenstandortdaten gefällig? Wir präsentieren: „What3Words: Addressing the Problem" von OgilvyOne. Dieses neue, weltweite Adressensystem drückt komplizierte geografische Koordinaten in jeweils drei einfachen Wörtern aus – so dass jeder seinen Standort genau angeben kann. Denn bis dato leiden fast 75% der Weltbevölkerung unter uneinheitlichen, komplizierten oder nichtexistenten Adress-Systemen.

Das Problem wurde in einer Printmarketing-Kampagne kunstvoll veranschaulicht, die sich in einem Brief an zehn afrikanischen Postminister wandte. Der Clou: die Adressen auf den Umschlägen waren liebevoll gestaltete Beispiele für die umständlichen Beschreibungen, mit denen die Empfänger von Postsendungen in Entwicklungsländern allzuoft ausfindig gemacht werden müssen.

Außerdem hat die Kampagne einen weiteren, gesellschaftlichen Nutzen: denn exakte Adressen erleichtern es zum Beispiel, Trinkwasseranschlüsse zu warten, Krankenhäuser ausfindig zu machen und Entwicklungshilfe zu versenden. Der Erfolg der Kampagne ist beachtlich: drei afrikanische Kommunikationsministerien haben Verhandlungen mit What3Words aufgenommen.

Spotify: Weird Year

Manchmal gereichen Daten Print auch zum Nachteil: Spotify’s internes Kreativteam konzipierte die äußerst erfolgreiche „Weird Year”-Kampagne, in denen schrullige Lauschgewohnheiten seiner Kunden in humorvolle Werbeplakate umgemünzt wurden. (Eine Kostprobe: „Lieber User, der am Valentinstag 42-mal „Sorry” hörte – was hast Du nur angestellt?”)

Obwohl die Kampagne „analog” konzipiert wurde, blieb ein an sich naheliegender Kanal unbeachtet: die Musikpresse. Warum? Weil Spotify herausfand, dass seine ausgeklügelte Empfehlungssoftware – und Online-Reviews – beim Publikum besser ankommen als herkömmliche Musikmagazine.

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UN Women: Die (vorgeschlagene) Wahrheit

Manchmal brilliert eine Kampagne, die für Digital prädestiniert zu sein schein, ausgerechnet in Print. The „Autocomplete Truth” von Memac Ogilvy und Mather Dubai nutzte die Vorschlagsfunktion von Google, um auf gängige Vorurteile gegen Frauen aufmerksam zu machen. Obwohl das entsprechende Video viel Eindruck machte, war das Motiv gerade als Printanzeige besonders aufmerksamkeitsstark.

ING: Der nächste Rembrandt

Von schnöder Zahlenklauberei zum puren Augenschmaus: im Projekt „The Next Rembrandt”, taten sich das Rembrandthuis, Microsoft, TU Delft und das Mauritshuis mit der Bankengruppe ING zusammen (ING sponsert schon seit langem niederländische Kunst). Mit Daten, die in einer 18-monatigen Analyse von 346 offiziell anerkannten Rembrandt-Gemälden gesammelt wurden, kreierte das Team per 3D-Druck einen „neuen” Rembrandt, wobei 13 Schichten Tinte für den dreidimensionalen Pinselstrich eines Ölbildnisses nachbildeten. Das Bild wurde Seite an Seite echter Werke des Alten Meisters ausgestellt, während ein Video auf nextrembrandt.com die Entstehungsgeschichte des Werks dokumentiert.

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The Times: JFK – Unsilenced

Jeder Werber träumt von einer Kampagne, die Schlagzeilen macht. Rothcos „JFK-Unsilenced”-Projekt stellt das in der Times eindrücklich unter Beweis.

Die originelle Idee, anhand von Daten des Stimmmusters von Präsident Kennedy jene Rede aufzuzeichnen, die er in Dallas gegeben hätte, wäre er nicht ermordet worden, war ein beeindruckendes Beispiel von datengestützter Kreativität. Dennoch war es gerade die bewährteste aller Print-Lösungen, die der Kampagne Seriosität verlieh: eine groß aufgemachte Titelseite. Durch sie wurde ein Marketing-Stunt zu einer Story mit redaktionellem Gehalt – ideal für ein intelligentes Publikum, dass sich nur ungern bewerben lässt.

Trotz aller guten Nachrichten geht es in diesem Beitrag nicht darum, sich bis zum Gehtnichtmehr für Print stark zu machen. Daten sind nicht nur für eine Ein-Kanal-Lösung geeignet – sie geben Werbungtreibenden die Erkenntnisse, die sie benötigen, um über mehrere Kanäle wirksam zu sein.

In einem Artikel für Think with Google drückte es Deborah Powsner – Head of Brand Narrative and Content Strategy bei YouTube Ads Marketing – so aus: „Für Werbungtreibende wird es immer schwieriger, sich auf all die Absichtssignale, die die User zurücklassen, einen Reim zu machen. Denn auf ihrer Suche wechseln die Leute von Kanal zu Kanal und Gerät zu Gerät.”

Daher ist es um so wichtiger, die moderne Customer Journey über alle Medien zu verfolgen – einschließlich Print.