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Erkenntnisse
16 . 07 . 19

Nicht in der gleichen Blase

Worte von: Print Power
Wer täglich die Klaviatur digitaler Medien bedient, merkt vielleicht nicht, dass die Musik gar nicht mehr beim Empfänger ankommt. Eine Studie legt nun offen, wie unterschiedlich Kommunikationsprofis und Konsumenten die Bedeutung digitaler Medien einschätzen.
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Auf einen Blick:

  • Soziale Medien spielen bei der Suche nach Produktinformationen eine wesentlich geringere Rolle als Kommunikationsexperten annehmen.
  • Der wichtigste Grund für Konsumenten, ein Medium zu nutzen, ist Gewohnheit.
  • Auch Kommunikatoren sind mit der Vielfalt digitaler Medien überfordert und neigen daher zu Aktionismus

Man kann es Betriebsblindheit nennen - oder so, wie es Roland Heintze formuliert: „Wenn Sie sich den ganzen Tag mit etwas beschäftigen, geraten Sie in eine Blase. Da werden Dinge anders diskutiert und nicht immer sitzt der Konsument in derselben Blase“, sagt der Chef der Hamburger PR-Agentur Faktenkontor über seinen eigenen Berufsstand.

Um nachzuweisen, wie bedeutsam Kommunikatoren ihre eigene Arbeit bewerten und um wieviel weniger bedeutsam die Ergebnisse dieser Arbeit für ihre Zielgruppen sind, hat Heintze eine komplexe Versuchsanordnung aufgebaut: Gemeinsam mit der dpa-Tochter News Aktuell hat er 2.000 Deutsche unterteilt in sechs Verbrauchergruppen vom „aufgeschlossenen Traditionalisten“ bis zum „effizienzorientierten Onliner“ über deren Verhalten bei der Suche nach Produktinformationen befragt. Die Antworten haben die Studienautoren mit jenen von 265 Kommunikationsprofis abgeglichen.

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Dr Roland Heintze Foto: Dennis Williamson

Überwältigende Informationsmenge

Was auffällt: Kommunikatoren unterstellen digitalen Medien eine weitaus größere Relevanz als es insgesamt die Konsumenten tun. Das Relevanz-Gap zwischen Sendern, also Kommunikatoren, und Empfängern, also Konsumenten, wird etwa beim Einsatz von Social Media für Produktinformationen besonders offenbar. Auf die Frage, welche Medien die jeweilige Gruppe für Informationen bevorzugt, um eine besonders große Gruppe von Menschen zu erreichen, gaben 79 Prozent der Kommunikationsprofis Social Media-Kanäle wie Youtube oder Facebook an. Dagegen gaben nur 44 Prozent der Konsumenten an, Produktinformationen über soziale Medien einzuholen. Diametral dazu die Bewertung von Zeitungen: die sind nur 44 Prozent der Kommunikatoren relevant genug als Trägermedium für Produktinformationen, sie gelten aber für 59 Prozent der Konsumenten als bevorzugte Quelle. Ein Erklärungsversuch dafür, dass soziale Medien so wenig beim Nutzer verfangen, könnte der inhaltliche Streuverlust sein, der Nutzer verzweifeln lässt: Mehr als jeder vierte Nutzer, so die Studie von Faktenkontor, kann die „überwältigende Informationsmenge“ nicht mehr überblicken. Ein strukturelles Problem, das sozialen Plattformen innewohnt.

Heftig ist, wie sehr Kommunikationsexperten insbesondere bei der Wichtigkeit von Facebook daneben liegen: 56 Prozent meinen, dass Facebook oft oder manchmal für Produkt – oder Serviceinformationen genutzt wird. Tatsächlich nutzt nur jeder fünfte Konsument den blauen Riesen für derartige Recherchen.

Eine Frage des Zufalls

Roland Heintze begründet die Diskrepanzen auch mit einer gewissen Überforderung der Kommunikationsbranche, die sich in der Vielfalt der digitalen Angebote verheddert und die falsche Plattform wählt: „Man arbeitet einfach mit dem Kommunikationstool, das man für sinnvoll hält, aber das muss es aus Sicht der Zielgruppe nicht sein“, so Heintze. Es fehle schlicht die solide Vorarbeit. Dagegen sei das Ökosystem der Printmedien für Kommunikationsprofis nicht nur ein gewohntes, sondern auch leichter überschaubar. „Natürlich muss ich auch bei Printmedien schauen, ob die Relevanz noch da ist, aber das kann ich leichter überblicken“, so Heintze. Was viele Kommunikationsverantwortliche heute gerne übersehen bei ihrer Relevanzeinschätzung: „Bei Print habe ich eine erheblichen Vertrauensvorsprung. Das sind etablierte Medien, vielleicht auch mit Medienschaffenden dahinter, denen ich vertraue“, sagt Heintze. Verfasser oder Absender von Informationen, auch dies hat die Studie herausgefunden, müssen den Nutzer persönlich überzeugen, um weiterempfohlen zu werden. Printmedien sind wegen ihrer erlernten Nutzung ein kulturelles Gegenüber und diese Nutzungskultur verstärkt auch die Wirksamkeit von Werbung.

Gewohnheit als Nutzungsmotiv

Das wird durch ein anderes Ergebnis untermauert: 56 Prozent der befragten Deutschen nützen ihre präferierten Medien aus Gewohnheit, 51 Prozent, weil sie „gute Erfahrungen“ mit dem jeweiligen Medium gemacht haben. Gewohnheit, Vertrautheit also, können Printmedien oder auch die digitalen Outlets von Printmedien naturgemäß einfacher suggerieren als Medien, die ausschließlich digital erscheinen.

Überkompensation würden es Psychologen nennen; dieses Phänomen, das der Hamburger PR-Berater Roland Heintze nun über die vermutete Wirksamkeit digitaler Kommunikation nachgewiesen hat. „Lange waren Kommunikationsprofis skeptisch gegenüber digitalen Kanälen also herrscht da ein enormer Nachholbedarf. Jetzt ist das Digitale auf allen Unternehmensagenden. Die digitale Kommunikation rückt in den Mittelpunkt der Betrachtungen, auch wenn das nicht überall klug ist“, sagt Heintze.